Vortrag und Diskussion, Beginn 19:30 Uhr
Im Auftrag des exilierten Instituts für Sozialforschung verfasste Franz Neumann mit „Behemoth“ Anfang der 1940er Jahre in den USA eine der bis dahin umfangreichsten und kenntnisreichsten Studien der nationalsozialistischen Herrschaft. In seiner Pionierarbeit analysierte er (ähnlich wie sein Freund und Anwaltskollege Ernst Fraenkel in „Doppelstaat“) gleichermaßen die theoretischen Schriften von Carl Schmitt – dem „Kronjuristen des Reiches“ – als auch die Herrschaftspraxis des nationalsozialistischen Regimes anhand dessen Gesetzen, Prozessen und Erlassen. Die Negation eines allgemein gültigen Rechts zugunsten einer exklusiven Ordnung der Volksgemeinschaft und der Herrschaft von rackets (Banden) beschrieb er als einen zentralen Aspekt der autoritären Krisenlösung des Nationalsozialismus. In den USA erfuhr das Buch große Beachtung und verschaffte Neumann ein Engagement beim amerikanischen Geheimdienst, für den er wie sein Institutskollege Herbert Marcuse „Feindanalysen“ über den deutschen Nationalsozialismus erstellte. Obwohl „Behemoth“ international rasch als Klassiker der Forschung zum Nationalsozialismus galt, dauerte es in Deutschland bis in die 1970er Jahre, bis Neumanns Werk erstmals in deutscher Sprache veröffentlicht wurde. Aufgrund andauernder Kontinuitäten von Antisemitismus und Antimarxismus bekam Neumann als jüdischer Autor mit Sympathie für die Marxsche Ökonomiekritik jedoch im postnazistischen Deutschland nie die Aufmerksamkeit und Anerkennung wie in der englischsprachigen Diskussion.
Mit dem Vortrag soll ein Überblick über die zentralen Thesen von Neumanns Studie gegeben und diese mit zeitgenössischen linken Faschismusinterpretationen verglichen werden. Dabei werden besonders Parallelen und Differenzen zu Ernst Fraenkels „Doppelstaat“ und Friedrich Pollocks Interpretation des Nationalsozialismus als neuer Ordnung eines autoritären Staatskapitalismus behandelt. Des weiteren soll diskutiert werden, inwiefern seine Analysen auch einen Beitrag für ein besseres Verständnis aktueller autoritärer Tendenzen liefern können.
Moritz Zeiler hat Geschichte und Politikwissenschaften studiert und ist Mitglied der Gruppe associazione delle talpe. Veröffentlichungen: Materialistische Staatskritik. Eine Einführung, Stuttgart 2017, Das Klima des Kapitals. Kritik der politischen Ökonomie und gesellschaftliche Naturverhältnisse, Berlin 2022 (Herausgabe mit Valeria Bruschi) sowie zusammen mit associazione delle talpe Herausgabe der Textsammlungen Staatsfragen. Einführungen in die materialistische Staatskritik, Berlin 2009 sowie Maulwurfsarbeit I-VI, Berlin/Bremen 2010-2022.